Mitten in einer wuchernden Pflanzengemeinschaft am Ackerrand sehe ich ihn heute blühen: den Erdrauch (Fumaria officinalis L., Fumariaceae), Insgesamt betrachtet wirkt das Kraut mit seinen zisilierten Blättern und den hübschen rosaroten Blüten, die mit der dunkelgefärbten Spitze nach unten zeigen, in sich abgeschlossen, wie ein kleines blassgrünes Bäumchen, das schnell aus dem Boden schiesst und bereits im April blüht. Es liebt gedüngten, stickstoffhaltigen und kalkreichen Boden, daher treibt es ihn schon früh zum Wachsen und Blühen. Im 16. Jh. nannten die Botaniker den Erdrauch “Fumus terrae”, denn er entwickle sich “aus den Dämpfen, die im Frühling wie Rauch, in großen Mengen aus der Erde emporsteigen und sich in die Lüfte erheben, sich dabei drehen und wenden und von der Sonne beschienen werden”. So entstehe der Erdrauch, und die innere Schau dieser Menschen der Renaissance gewährt uns heute noch einen bildhaften Einblick in sein Werden.
Der Erdrauch ist einjährig und hat fein gefiederte Blätter. Sie wirken bläulich-grün, beim Anfassen hinterlässt man eine dunkle Spur: sie sind von einer dünnen Wachsschicht überzogen (in der botanischen Fachsprache nennt man sie “bereift”) und schützen sich auf diesse Weise vor der intensiven Sonneneinstrahlung. Der Erdrauch liebt zwar warme, trockene Standorte, ist jedoch hitzeempfindlich. Die in Trauben angeordnete rosarote, an der Spitze dunkelrote Blüten, mit einer langen gespornten Krone, duften nicht. Wenn man sie zerreibt, färben sie leicht, und im Spätsommer bilden sich kugelige, runzelige Früchte. Die Wurzel schmeckt sehr bitter und sendet beim Ausreißen einen starken, fast scharfen, “rauchartigen” Geruch aus, der Augen und Nase reizen kann. So verwendete man sie als Pulver mit Honig und Salz vermischt gegen Krätze, riss ganze Pflanzen aus und hängte sie im Stall auf, um Erdkobolde und Schlangen fernzuhalten.
Heilwirkung und Anwendung
Von April bis August sammelt man die oberirdischen Teile des Erdrauchs und trocknet sie rasch im Schatten oder, noch besser, im Dörrgerät als Teedroge. Mit der frischen Pflanze werden Saft, Tinktur und Sirup hergestellt.
Erdrauchkraut enthält Alkaloide (bis zu 0,1%) wie Protopin, Fumarofin, Fumasritrin, außerdem Flavonoide, Pflanzensäuren, Minerale, Cholin, Schleimstoffe und Vitamine. Die leichte Giftigkeit wirkt im Phytokomplex der Heilpflanze ausgleichend bei Krämpfen der glatten Muskulatur und bei Verdauungsstörungen.
Erdrauchauszüge regen die Gallentätigkeit an, gelten jedoch gleichzeitig als „amphicholeretisch” oder “amphoterisch”, d.h. die Droge kann sowohl den Gallenfluss fördern, als auch reduzieren. In der modernen Phytotherapie gehört Fumaria officinalis zu den leberschützenden Pflanzen, die auch im Fall von schweren Erkrankungen wie Leberzirrhose verschrieben werden. Leichte Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, erhöhter Augeninnendruck und Wasserstau sind nur in seltenen Fällen bekannt, man sollte Erdrauchextrakte aber nicht auf eigene Faust für längere Zeit einnehmen, sondern Rat beim Herboristen oder Apotheker einholen.
In der traditionellen Heilkräuterkunde mischte man Erdrauchkraut mit weiteren „blutreinigenden“ Pflanzen, um im Frühling Stoffwechsel und Ausscheidung anzukurbeln. Der Erdrauch leitet nicht nur aus, er wirkt auch blutverdünnend und als natürliches Antihistaminikum, was gerade im Frühling bei starkem Pollenflug hilfreich sein kann. Bemerkenswert ist außerdem, dass die anthroposophische Medizin, sowie die Traditionelle Chinesische Medizin bei Heuschnupfen als Erstes Leber und Nieren behandeln. Erdrauch wirkt gleichzeitig anregend auf unsere Ausscheidungsorgane und Drüsen, aber auch stärkend bei Überempfindlichkeit auf äußere Erreger wie Pollen, Staub oder Tierhaare und ist daher eine wertvolle, gutverträgliche Heilpflanze.
Diese innere Reinigung geht mit einer zusätzlichen, wichtigen Heilwirkung einher: Erdrauchextrakte helfen bei Hautkrankheiten wie Psoriasis, Neurodermitis und allgemein bei Ekzemen und Ausschlägen. Dabei kann man die innere Einnahme mit Bädern oder Waschungen aus konzentriertem Erdrauchtee verbinden.
Karin Mecozzi, Dipl. Herboristin