Geduldig steht er da im harten Kies am Wegesrand. In der aussichtslosen Enge der Zäune. Auf ausgebrannten Wiesen und Weiden. Wacht und harrt aus, weil er warten kann und helfen will.
Hermann-Josef Weidinger
Grüne, intensivgrüne Blattrosetten säumten heute meinen morgendlichen Betrachtungsgang, auf dem schattigen Weg zum Haselnusswäldchen. Auf dem Rückweg schaue ich näher hin: trichterförmig angeordnete Blattgebilde, so wirken die Grundrosetten des Spitzwegerichs, zusammengesetzt aus frischen, grünen Blättern, die direkt aus dem Erdboden zu sprießen scheinen. Auch kreisförmig, um ein Zentrum herum angeordnet, ein Zentrum, das man eigentlich nicht sieht, lanzettliche Blattformen, ein wenig steif, wie „in Reih und Glied“, dicke Blattnerven als parallele Längsstreifen. Ich koste ein Blatt und merke, wie saftig und salzig es schmeckt. Einladend wirkt es nicht auf mich, aber der Spitzwegerich ist ja bekanntlich ungiftig und gehört zu den „essbaren Wildkräutern.“ Wegericharten sind vor allem bekannte Heilpflanzen, und gerade dieses Salzig-Erdige im Geschmack bringt mich auf eine Idee: im Rezeptbuch meiner Großmutter steht ein Hinweis auf ein „probates Stärkungsmittel“, das sie, in böhmischer Tradition, aus Wegerichblättern (Spitz- und Breitwegerich), Berghonig und Wacholderfrüchten herstellte.
„Wegerich-Tonikum“ (aus einem alten Krtäuterrezeptbuch)
„Neben der Kuhweide, im Mai, frische Blätter von Spitzwegerich und Breitwegerich bei Vollmond ernten, mit dem „Nudelwalgger“ (Teigroller) kurz bearbeiten, bis der Saft herauskommt. Zerquetschte Blätter mit Berghonig in ein Glas schichten, immer wieder ein paar Wacholderfrüchte darüberstreuen und zum Schluss 3 Löffel Branntwein dazugeben. An einem warmen Ort ziehen lassen und nach 4 Wochen den Saft abseihen. Löffelweise eingenommen, hilft das Tonikum bei Rachitis, als Kräftigung nach einer Grippe, es stärkt die Knochen und die Nerven.“
So weit das Rezept meiner Großmutter, das ich hier gerne weitergebe und auch selbst wieder ausprobieren werde. Denn – wer braucht heute schon keine „starken Knochen und Nerven“?
Spitzwegerich in Stichworten…
Mehrjährige Pflanze mit ausdauernder Wurzel und Blattrosette im Frühling. Lanzettliche Blätter, ganzrandig oder leicht gezähnt, auf der Unterseite leicht behaart, mit fünf deutlich sichtbaren, parallel verlaufenden Blattnerven. Die Blütenstände sind sogenannte Ähren, auf langen, unverzweigten Stängeln, mit brauner Krone und auffallenden langen, weißen, herausragenden Staubfäden.
Volkstümliche Namen des Spitzwegerichs: Wegetritt, Rossrippe, Wegeblatt
In weiteren Sprachen: Englisch: Ribwort plantain; Französisch: Plantain lancéolé; Italienisch: Piantaggine. Wurde von den Indianern „Footprint“ (Fussabdruck, Fährte) genannt, weil sich die Wegeriche überall dort aussäten, wo Menschen auf ihrer Pionierreise auf dem „neuen Kontinent“ Halt machten.
Familie: Wegerichgewächse (Plantaginaceae).
Verbreitung: weltweit, in Europa in allen Höhenlagen bis ins Hochgebirge
Standort: Wegränder, Rasen, Weiden, Wiesen, in der Stadt auf Grünflächen, an Straßenrändern, Schuttflächen und Bauplätzen, an alten Gemäuern.
Weitere Wegericharten: Breitwegerich, auch Großer Wegerich genannt (Plantago major), Mittlerer Wegerich (Plantago media), Flohsamenwegerich (Plantago afra), Indischer Flohsamenwegerich (Plantago ispaghula), Strandwegerich (Plantago arenaria).
Als „Zeigerpflanze“auf dem Acker und im Garten: Spitz- und Breitwegerich zeigen verdichtete, sauerstoffarme Ackerböden und Wiesenflächen an, die vernachlässigt, also landwirtschaftlich falsch bearbeitet wurden. Spitzwegerich kommt als Zeigerpflanze auch auf Wiesen und Äckern vor, die zu wenig Sand und Löss, dafür schwere, feuchtbleibende Tonerde und viele Kieselsteine enthalten können. In einem Dauerrasen sind Wegeriche schwer auszurotten, da die ausdauernde Wurzel immer wieder neu austreibt. Im Gemüsegarten trifft man weniger häufig auf Wegeriche, da der Boden immer wieder bearbeitet wird. Allerdings schaut er gerne im Blumen- und Küchenkräutergarten hinein – wir lassen sie stehen, mit ihren schönen Blättern und den eigenartigen Blüten.
Kulinarisches: Gehört zu den „essbaren Wildkräutern“, die man frisch oder gekocht in Salaten und gedünstetem Gemüse verwenden kann. Lecker sind im Sommer in Zitronensaft marinierte sehr junge Spitzwegerichblätter, die man mit Kapern, Pfeffer und Salz würzt und zusammen mit frischen Baldrianblüten auf Ziegenkäse serviert. Nur sehr junge Blätter verwenden, die im Schatten wachsen, die älteren sind faserig und haben einen stark „erdigen“ Geschmack, der auch an Pilze erinnert. Frische Spitzwegerichblüten passen feingehackt in eine traditionelle Kräuterbutter. Tipp: Spitzwegerich verträgt sich beim Kochen und Zubereiten nicht mit Knoblauch oder Zwiebel, sondern passt zu Bärlauch oder Ingwer. Sparsam verwenden, wegen des eigenen Geschmacks!
Wegeriche als „Zauberpflanzen“
Spitz- und Breitwegerich gehören heute noch zu den sogenannten „Johanniskräutern“. Sie sollen um die Sonnenwende besonders heilkräftig (betrifft Blüten und Samen) sein. Blüten und Blattrosetten der Wegeriche fallen gerade um diese Zeit wenig auf, und doch sind es traditionelle „Zauberpflanzen“. Die Blätter wurden von den alten Römern den ganzen Sommer lang geerntet: Plinius berichtet von gefährlichen Skorpionbissen, die mit Spitzwegerichblättern geheilt wurden. Die Wurzeln wurden früher in verschiedenen Ländern Europas getrocknet und um den Hals gehängt, als Schutz vor Zahnschmerzen und Nervenentzündungen.
In der Kunst:
Besonders in der Renaissance wurden Wegericharten mit ihren einfachen Blättern und kräftigen Wurzeln gerne in Botanikbüchern oder auch als Schmuckpflanze dargestellt. Seltsamerweise malte man weniger die blühende Pflanze, sondern das Kraut. Für Zeichnungen und gemalte Darstellungen von Wegerichblättern presste man den Saft und vermischte ihn mit haltbareren Pigmenten, manchmal auch mit Tierblut und Teer. So gelang es, das besondere Grün der Wegeriche „einzufangen“ und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Solche Malereien sind heute noch in vielen italienischen Kusntwerken aus der Renaissance zu bewundern.
Es folgt Teil 2: Spitzwegerich als Heilpflanze
©Karin Mecozzi