Tausendgüldenkraut

Tausendgüldenkraut – Erythrea centaurium L.

Wenn das Tausendgüldenkraut
Offen blüht in Waldgehegen,
Darf gewiß sein, wer es schaut,
Daß es hat bei Nacht gethaut,
Und am Tage kommt kein Regen.

Friedrich Rückert

centaurium-erythraea

 

In der warmen Morgenluft, nach einer Mittsommernacht öffnen sich die Blüten des Tausendgüldenkrautes. Purpurfarbene Kronenblätter und goldgelbe, lange Staubblätter laden Bienen und Insekten ein. Auf pfeilgeraden Stängeln wächst es als einzelne Pflanze oder in kleinen Gruppen dem Himmel entgegen, auf sonnenbeschienenen Wiesen, Trockenfluren und an Waldrändern. Wer Exemplare von Erythraea centaurium (auch Centaurium umbellatum oder Centaurium minor) an einem bestimmten Ort entdeckt, kann sie auch im nächsten Jahr wiederfinden, denn sie säen sich leicht aus und bevölkern eine Gegend viele Jahre lang. Sammeln darf man das Tausendgüldenkraut in vielen Ländern Europas, z.B. in Deutschland, nicht mehr, es ist selten geworden und steht unter Naturschutz. In Mittelitalien findet man große Bestände auf verlassenen Weiden und Feldern, denn in den letzten Jahrzehnten haben viele Bauern ihre Höfe verlassen und sind in die Stadt gezohen. Nördlich der Alpen kann man es im Garten aussähen oder sogar auf dem Balkon, als Topfpflanze ziehen. Als Heilpflanze wird es in Nordafrika, Albanien, Mazedonien und Bulgarien angebaut.

 

Das gesellige Tausendgüldenkraut blüht gerne auf Weiden und Wiesen, an Weg- und Feldrändern, ungefähr zur selben Zeit und an ähnlichen Orten wie die Schafgarbe, das Johanniskraut und das Labkraut, um die Zeit der Kornreife (Juni bis Juli). Als Pflanze, die in einer Art Symbiose mit bestimmten Wildgräsern lebt, leidet sie sehr unter den Auswirkungen der modernen Agrarwirtschaft, z.B. dem wiederholten Einsatz von Herbiziden. Tausendgüldenkraut gilt als Indikator für naturbelassene, zugewachsene Böden, aber es ist auch als „Wetterkraut“ bekannt: die Blüten öffnen sich nur bei warmem Wetter und Lufthochdruck und schließen sich, sobald Wolken den Himmel verhängen und ein Gewitter naht.

Im späten Frühjahr sprießen die grundständigen, ovalen Blätter und bilden eine Rosette. Mit zunehmender Wärme wächst aus der Pfahlwurzel der vierkantige, robuste Stängel, mit kreuzgegenständigen, schmaler werdenden Blättern. Der Stängel verzweigt sich erst, wenn die Pflanze zur Blüte drängt und den schirmförmigen Blütenstand bildet. An diesem Punkt wird aus der Senkrechte eine rosablühende Waagrechte, wobei die Blüten mit den fünf Zipfeln sternförmig aus langen hellgrünen Kelchen hervorleuchten.

Frische Tausendgüldenkrautblüten duften zart, Blätter und Stängel hingegen schmecken unglaublich bitter! Die Pflanze ist eines der bittersten Wiesenkräuter Europas und gehört zur Familie der Enziangewächse.

Wer in den Alpen einen stengellosen blauen Enzian (Gentiana acaulis) oder einen hochwüchsigen gelben Enzian (Gentiana lutea) betrachtet, nimmt wahr, wie verschiedenartig sich dieser Typus in den verschiedenen Höhenlagen offenbaren kann. In trockeneren Lagen wird das Tausendgüldenkraut schmal, mit wenigen Blüten und erinnert den Betrachter eher an eine Getreidepflanze. Es wird hart wie Heu und schmeckt bei anhaltender Trockenheit unglaublich bitter.

Vom Kentaurenkraut zum „Rothen Aurin“

„Fel terrae“, Erdengalle oder Erdensaft nannten die Römer das Tausendgüldenkraut. Der Arzt Dioskurides und Plinius der Ältere, der Geschichtsschreiber, priesen es als Heilpflanze bei Verdauungsstörungen, Gicht, Augenleiden und Schwächezuständen. Auszüge in Wein, Öl und sogar in Bier waren den Kelten bekannt, und in Italien wird es  auch „erba dei galli“ (Gallierkraut) genannt.

Die wohl berühmteste Schilderung dieser Heilpflanze geht auf den Dichter Homer zurück. In der Ilias beschreibt er, wie der Kentaur Chiron – halb Mensch, halb Pferd, Heiler und Lehrer des Achilles und des Asklepius – von einem Pfeil des Herakles verwundet wird und  versucht, seine unerträglichen Schmerzen durch das Tausendgüldenkraut zu lindern. Die Pflanze verdankt jenem Fabelwesen, dem unsterblichen Kentauren Chiron, ihren Namen: Centaurium.

Die lateinische Bezeichnung wird im Deutschen zu einem späteren Zeitpunkt wohl wörtlich übersetzt: Centaurium wird zunächst zum „Hundertgüldenkraut“ (centum, hundert und aurum, Gold), später zum Tausendgüldenkraut, aber auch zum „Rothen Aurin“. Diese Interpretation aus dem Frühmittelalter hat weitere Hintergründe. Die Menschen empfanden die Natur damals noch als bildhaft und benannten das Kraut nach seiner vielseitigen Heilkraft, genauso, wie sie sie wahrnahmen. Es galt als ein Mittel, das „tausendfach wirkte“ und kostbar war wie Gold. Die Worte „Gulden“, „Gold“ und „Gelten“ (im Sinne von „Wirken“) haben eine gemeinsame etymologische Wurzel!

Das Tausendgüldenkraut als Heilpflanze

In der modernen Pflanzenheilkunde haben sich die verdauungsfördernden und magenstärkenden Eigenschaften des Tausendgüldenkrautes bewährt, leider gehört es heute zu den weniger gebräuchlichen Heilpflanzen. Das ganze Kraut und vor allem die Blüten enthalten bittere Substanzen, sogenannte Secoiridoidglycoside, des weiteren Phenylcarbonsäuren, Xanthonderivate, Flavonoide, ätherisches Öl. Die Droge „Centaurii herba tota“ (ganze Pflanze) erreicht einen Bitterwert von 1:3500*.

Sie wird zunächst bei verschiedenen Verdauungsproblemen eingesetzt: Sodbrennen und Magenschwäche, zur Stimulierung der Magensaftsekretion und Appetitanregung. Die Wirkung auf den Verdauungstrakt ist zweifach: einerseits stimulieren die Bitterstoffe durch die Geschmacksknospen auf der Zunge den Nervus vagus und somit die Produktion von Magensäure und Pepsinogen (Enzym) in der Magenschleimhaut. Sobald die Bitterstoffe in den Magen gelangen, wird die Produktion von Gastrin, einem Hormon, angeregt, welches ebenfalls die Sekretion der Magensäfte einleitet. Gleichzeitig stärken Extrakte der Pflanze die Bauchspeicheldrüse und werden bei leichtem Diabetes empfohlen, ebenso als Begleitmittel bei Lebererkrankungen und in der Behandlung von Pilzerkrankungen (Darmmykose).

Die geeignetsten Darreichungsformen bei Verdauungsschwierigkeiten sind die Frischpflanzentinktur und ein Kaltauszug: man setzt zwei Teelöffel kleingeschnittener Droge in 200 ml kaltem Wasser an, lässt mindestens sechs Stunden lang ziehen, filtert, erwärmt den Auszug leicht und trinkt ihn ungesüßt vor den Mahlzeiten, indem man ihn gut einspeichelt. Wenig bekannt ist, dass bei Präparaten wie Kapseln oder Tabletten die Bitterstoffe des Tausendgüldenkrautes nicht genügend absorbiert werden, und sie verlieren ihre Wirkung.

Eine weitere, wichtige Indikation des Tausendgüldenkrautes ist die allgemeine Stärkung des Organismus, die sogenannte Tonisierung. Man hat die kreislaufanregende Wirkung festgestellt, Erythraea centaurium erhöht den Gefäßtonus, regt die Herztätigkeit sowie den gesamten Stoffwechsel an. Extrakte helfen auch bei Eisenmangel, durch die besondere Kombination aus Bitterstoffen und organischen Säuren wird das Eisen, das mit der Nahrung zugeführt wird, leichter absorbiert und gespeichert. Schwächezustände und Kopfschmerzen anämischen Ursprungs können dadurch gelindert werden.

Das Tausendgüldenkraut ist als „Fieberkraut“ bekannt; folgende Teemischung  kann helfen, Fieber auf natürliche Weise zu behandeln.

Fiebertee**

Tausendgüldenkrautblüten   10g

Kardo-Benediktenkraut                     10g

Enzianwurzel                        10g

Bitterorangenschalen            10g

Bitterkleeblätter                                10g

 

Fünf Esslöffel der Teemischung in einem Liter kaltem Wasser ansetzen, nach 2 Stunden aufkochen, 2 Minuten köcheln, vom Herd nehmen und 10 Minuten ziehen lassen, abseihen, in einer Thermokanne aufbewahren und, den Tag über verteilt, stündlich 2 Esslöffel davon trinken. Nicht süßen!

 

In der italienischen Volksheilkunde wird das Tausendgüldenkraut auch zu äußerlichen Zwecken verwendet. Mit dem Dekokt werden Wunden und Verletzungen ausgewaschen und erfolgreich behandelt. Umschläge helfen bei schlecht heilenden Wunden und „offenem Bein“ (Ulcus cruris). Auch in der Schönheitspflege findet es Gebrauch: Tausendgüldenkrauttee verleiht kastanienbraunen Haaren einen goldenen Schimmer und soll Sommersprossen und Altersflecken verblassen lassen.

Abschließend sei noch auf die Verwendung in der „Blütentherapie“ nach Dr. Edward Bach verwiesen: „Centaury“, der Blütenauszug aus dem Tausendgüldenkraut, ist verbunden mit den Seelenqualitäten der Selbstbestimmung und der Selbstverwirklichung. Im negativen Centaury-Zustand ist die Beziehung zum eigenen Willen gestört“***.

Dieses robuste, heuartige Kraut, fest im Boden verwurzelt, von zartem Duft, jedoch gallenbitter, vermittelt Stärke, Mut zum Durchhalten. Es kräftigt den Ätherkörper, und im Italienischen sagt man zu einem Menschen, der sich durch seine Ausdauer, seine Zielbewusstheit auszeichnet: „Hai fibra“: du bist aus einer robusten Faser gestrickt!

Karin Mecozzi, aus ARS HERBARIA, Heilpflanzen im Jahreslauf, Verlag am Goetheanum

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*Mit dem Bitterwert misst man, wie viel Bitterstoff in einer Lösung geschmacklich wahrgenommen wird: ein Bitterwert von 1000 bedeutet, dass 1 g der Substanz bzw. ein Extrakt aus 1 g Droge in 1000 ml Wasser gerade noch bitter schmeckt.

 

** Keine Selbstmedikation bei hohem Fieber: bei akuten Entzündungskrankheiten sollte man den Arzt konsultieren! Diese Mischung ist für Kinder unter 12 Jahren nicht geeignet.

***Mechthild Scheffer, Bach-Blütentherapie – Theorie und Praxis, Irisiana-Verlag

 

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